Totenbett, eine Geschichte

Bei vielen Naturvölkern war es üblich, dass sich Sterbende in die Wildnis zurückzogen, um dort zu sterben. Der Sterbende hat sich dann irgendwo versteckt, damit ihn wilde Tiere nicht anfallen und ist allein verstorben. Ein schreckliches Bild. Tröstlicher ist die Vorstellung, im Kreise seiner Lieben zu sterben. Nur machen das die Lieben auch mit? Und wie viele Menschen sterben heute im Single-Haushalt, also allein? Allein in der Wildnis Stadt, wo einen die Nachbarn nicht kennen und es an der Tagesordnung ist, dass die Feuerwehr in eine Wohnung einbricht, weil es im Treppehaus nach Verwesung riecht.

Jedes Jahr sterben in Deutschland etwa 900 000 Menschen – davon laut einer Erhebung aus dem Jahre 2019 des Deutschen Evangelischen Krankenhausverband (DEKV) 77 Prozent entweder in einer Klinik oder im Pflegeheim. Eine weitere Studie stützt diese Zahlen: Das Max-Planck-Institut hat 2018 festgestellt, dass der Anteil derer, die im Krankenhaus sterben, zwar seit langem rückläufig ist, aber immer noch 46 Prozent betrage und seit 2016 stagniere.

Zuhause sterben wünschen sich viele, aber die Mehrheit stirbt dort nicht. Eine Möglichkeit sind Hospize, in denen die Sterbenden ihre letzten Monate verbringen können und optimal versorgt sind. Allerdings gibt es hier eine größere Nachfrage als das Angebot:

In Deutschland gibt es aktuell rund 250 stationäre Hospize. Die 230 stationären Hospize für Erwachsene verfügen über etwa 2.300 Betten und betreuen pro Jahr rund 30.000 Patienten. Evangelische Einrichtungen leisten hier einen deutlichen Beitrag: mehr als ein Viertel der Einrichtungen sind im Jahr 2015 in evangelischer Trägerschaft.

Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland 1,5 Prozent der Bevölkerung, also 1,2 Millionen Menschen, eine Palliativbetreuung benötigen. Dabei umfasst dieser Begriff nicht nur die Begleitung in den letzten Lebenstagen, sondern die Betreuung von Menschen, die von nicht heilbaren, lebensbedrohenden Erkrankungen betroffen sind und interdisziplinäre medizinische, psychologische, soziale und spirituelle Unterstützung benötigen. Zwischen 1,2 Mio und 30.000 klafft also eine gewaltige Lücke!

Es muss schnell gehen? Muss es nicht!

Wenn ein Mensch stirbt, sorgen die Angehörigen meist dafür, dass der Leichnam schnell abgeholt wird. Zeit für Abschied bleibt da nicht, obwohl der Gesetztgeber diesen zulässt. D.h. die Szenen vom Sterbebett, an dem die Angehörigen Abschied nehmen, finden wir nur noch in der Literatur und in der Malerei. Die Realität sieht meist anders aus.

Einige Angehörige fürchten sich vor der Veränderung des Toten, vor seiner Verwesung oder vor Giften. Diese Angst ist unbegründet: Ein normal Verstorbener verändert sich aus hygienischer Sicht nicht, auch nicht in den ersten Tagen. Viele Menschen wollen einfach nicht mit einem Toten zusammen in einer Wohnung sein. Der Tod ist ein Tabu in unserer Gesellschaft. Man kann den Angehörigen aber nur empfehlen, sich Zeit zu nehmen – in Gegenwart des Verstorbenen, in der vertrauten Umgebung, im Sterbezimmer. Erst nach der Bestattung, wenn die Hektik vorbei ist, wird einem der Verlust wirklich bewusst, dann ist es für eine trostspendende Verabschiedung zu spät. Früher war eine Aufbahrung zuhause üblich. Noch etwas bei dem Toten zu verweilen, kann sehr tröstlich sein, um den Verlust zu realisieren. Durch die Eindrücke, so schockierend sie sein mögen, so groß die Angst davor ist, das Sehen erleichtert das Begreifen und leitet die Trauer besser ein. Dass ein Verstorbener aus der Klinik oder aus dem Pfle­geheim zur Aufbahrung nach Hause geholt werden darf, wissen viele Angehörige nicht.

36 Stunden zuhause – für den Abschied

Aufbahrung meint, dass der Tote von den Hinterbliebenen besucht, betrachtet und berührt werden kann. Vorher wird er vom Bestatter gewaschen und einge­kleidet. Die Angehörigen können dies auch selbst über­nehmen. So wird ein ansehnliches Erscheinungs­bild des Verstorbenen hergestellt. Voraus­setzung für eine Aufbahrung ist, dass der Tote nicht an einer melde­pflichtigen Krankheit gelitten hat. Im Fall von Corona wird dies also leider erschwert. Ansonsten gibt es Fristen, wie lange ein Toter zu Hause aufgebahrt werden darf. Dies regeln die Bestattungs­gesetze der Bundes­länder. In den meisten gilt eine Frist von 36 Stunden. In Brandenburg und Sachsen sind es nur 24 Stunden. In Bayern legen die einzelnen Kommunen den konkreten Zeitraum fest. Läuft die Frist ab, muss der Tote in eine Leichenhalle über­führt werden. Auf Antrag ist aber sogar eine längere Aufbahrung zu Hause möglich.

Welcher Raum eignet sich am besten?

Ein separater Raum, der in diesen Tagen nicht beheizt wird. Gerüche sind nach einer so kurzen Frist nicht zu befürchten.

Wie möchten Sie sterben?

Viele Menschen geben als Antwort auf die Frage, wie sie sterben möchten an, dass sie nicht in das System der Intensivmedizin geraten möchten, wenn es keine Heilungschance mehr gibt. Sie wünschen sich einen schmerzfreien Tod und einen geborgenen Rahmen, der auch die Angehörigen unterstützt. So hätten sie mehr Zeit, um Abschied zu nehmen, vom eigenen Leben und von den Menschen, die dazu gehörten. Solch ein Raum könnte ein Platz in einem Hospiz darstellen.