Kleine Geschichtsstunde

Wir sind ein Bestatter aus Wilmersdorf und interessieren uns daher auch für die Geschichte dieses Ortsteils von Berlin. Dass Wilmersdorf auch einmal eine eigene Stadt war und noch gar nicht so lange zur Hauptstadt gehört, wissen viele Zugereiste gar nicht. An vielen Straßennamen Wilmersdorfs lässt sich die Geschichte ablesen, man muss nur mit den Namen etwas anfangen können. Dazu gehört die Blissestraße, die Fechnerstraße, der Schoelerpark. Kennen Sie die Namensgeber hinter den Straßennamen? Tauchen Sie mit uns in die Geschichte von Wilmersdorf ein und Sie werden beim nächsten Spaziergang durch diesen Ortsteil Berlins die Welt mit anderen Augen sehen.

Schafe prägten Wilmersdorf einst

Die Gründung von Wilmersdorf dürfte um 1220 im Zuge des Landesausbaus der jungen Mark Brandenburg erfolgt sein. So genau wissen wir das heute, fast 800 Jahre später, nicht mehr. Die erste urkundliche Erwähnung für Wilmerstorff stammt aus dem Jahr 1293. Es gehörte der Uradelsfamilie von Wilmersdorff, dem Namenspatron des Dorfes. Die ersten Siedler riefen die askanischen Markgrafen ins Land.  Sie kamen aus Schwaben, Thüringen, Flandern und Westfalen und lebten von der Landwirtschaft und vom Fischfang im Wilmersdorfer See. Dieser See gehörte zur Grunewaldseenkette und wurde erst 1915 zugeschüttet, nachdem er immer mehr verlandet war. Ausgedehnte Schafzuchten haben lange das Bild des Dorfes geprägt.

Man kann nehmen, dass diese Familie auch zahlreichen anderen Ortschaften den Namen verlieh. Einige davon liegen nicht unweit von Berlin:

  • 15848 Wilmersdorf (bei Beeskow)
  • 16278 Wilmersdorf (bei Angermünde)
  • 03053 Willmersdorf (Niederlausitz)
  • 15926 Willmersdorf-Stöbritz (Niederlausitz)
  • 14974 Märkisch-Wilmersdorf (Teltow-Fläming)
  • 15518 Wilmersdorf (bei Briesen)
  • 16928 Wilmersdorf (bei Pritzwalk)
  • 16356 Willmersdorf (bei Bernau)
  • 98701 Herschdorf-Willmersdorf (bei Ilmenau)
  • Wylmersdorf (poln. Wilamowice), bei Krakau

Reiche Bauern in der Gründerzeit

In der Mitte des 18. Jahrhunderts kauften die ersten Berliner der nahen, rasant wachsenden Stadt Land und Bauernhäuser in „Deutsch-Wilmersdorf“ und richteten sich dort Sommersitze ein. Das geschah vor allem in der Wilhelmsaue, dem ursprünglichen Dorfkern, der heute zwischen der Mehlitz- und Blissestraße liegt. In Folge luchsten Bodenspekulanten, Bauinvestoren sowie die auf Raum angewiesene Ringbahn Mitte des 19. Jahrhunderts verschiedenen Großbauern ihre Felder ab, die dank des unerwarteten Geldsegens als „Millionenbauern“ in die Geschichte eingingen. Dazu gehörten die Familien Gieseler und Mehlitz. Beide auch heute mit eigenen Straßen verewigt. Otto Schramm begründete mit der Badeanstalt am Wilmersdorfer See und dem Tanzpalast Schramm den Ruf als Seebad Wilmersdorf. Davon ist heute nichts mehr geblieben.

Vielleicht sah so einmal der Wilmersdorfer See aus. Seit 1915 ist er zugeschüttet und damit Geschichte.

Die Eva Lichtspiele in der Blissestraße wurden 1913 begründet und spielen noch heute Programmkino. Mit der Zuschüttung des Wilmersdorfer Sees endete Ära als Seebad und Naherholungsgebiet. Zu nah kam die Großstadt dem einst idyllischen Dorf. Auf dem Seegelände wurden Sportplätze gebaut, die in den 1920er Jahren in den Grünzug Volkspark Wilmersdorf einbezogen wurden. Dieser innerstädtische Grünzug in der ehemals sumpfigen Niederung (auch Fenn genannt) reicht vom benachbarten Schöneberger Rudolph-Wilde-Park über den Fennsee bis zur Stadtautobahn. Auf dem Gelände der ehemaligen Badeanstalt wurde zwischen 1925 und 1928 nach Plänen des Architekten Jürgen Bachmann der sogenannte „Schrammblock“ errichtet. Die Wohnanlage mit einer der ersten unterirdischen Großgaragen überhaupt, mit Hofterrassen und Vorgärten füllt bis heute das gesamte Viereck zwischen den Straßen Am Volkspark, Schrammstraße, Hildegardstraße und Livländische Straße in einem einzigen Gebäudezug.

Bis zum Jahr 1708 war der Wilmersdorfer Pfarrer auch für das relativ weit entfernte Dorf Lietzow, das heutige Charlottenburg, zuständig. Daher hieß der Verbindungsweg dorthin, die heutige Brandenburgische Straße, auf alten Plänen noch Priesterweg. Mit der Berliner Residenz verband die Wilmersdorfer seit dem 16. Jahrhundert der “Churfürstendamm”. Kurfürst Joachim II. hatte schon kurz nach der Erbauung des Jagdschlosses am Grunewaldsee im Jahre 1542 durch das sumpfige Gelände einen Knüppeldamm zum Berliner Schloss anlegen lassen. Diesen nutzten vor allem die kurfürstlichen Jagdgesellschaften.

Eine weitere Millionenbauernfamilie, die Familie Blisse (genau: das sind die Namensgeber der Blissestraße), ermöglichte 1911 mit einer Stiftung über drei Millionen Mark (kaufkraftbereinigt in heutiger Währung: rund 17 Millionen Euro) den Bau eines Waisenhauses. Das „Blissestift“ in der Wilhelmsaue beherbergt heute verschiedene kommunale Einrichtungen, unter anderem einen Schulhort und eine Ganztagsbetreuungseinrichtung.

Das älteste Haus

In der Wilhelmsaue 126 befindet sich das älteste Haus von Wilmersdorf, das Schoeler-Schlösschen von 1752, das – wie der anschließende kleine Schoelerpark – den Namen seines letzten Bewohners, des Augenarztes und Medizinalrates Heinrich Schoeler (1844–1918) trägt. Zuerst hatte der Kaufmann Cornelius Adrian Hesse das Bauernhaus an dieser Stelle 1765 gekauft. Er baute es zu einem schmucken Landhaus um, das dann erst später nach seinem neuen Besitzer, dem bekannten Berliner Augenarzt August Schoeler, der es 1893 erwarb, “Schoeler-Schlösschen “ genannt wurde. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde es für die Hitlerjugend aufgestockt, auch die Fassade wurde stark verändert. Jetzt soll es mit Hilfe der Stiftung Denkmalschutz restauriert werden.

Ein weiteres bekanntes Wilmersdorfer Landhaus gehörte dem Maler Wilhelm Fechner. Es stand bis 1964 an der Ecke Brandenburgische und Konstanzer Straße und musste dann einem Neubau der BfA (Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) weichen. Heute hätte man es sicher erhalten, in den 60ern herrschte ein anderer Zeitgeist. Wilhelm Fechners Sohn Hanns hat in seinen Kindheits- und Jugenderinnerungen Wilmersdorf um 1870 geschildert:

“Um die Hauptstraße, die Aue in Wilmersdorf, mit ihrem urtümlichen Gemeindeteichlein, auf dem sich die Enten und Gänse in buntem Durcheinander tummelten, ihren schönen uralten Linden und Kastanien, lagen die Gehöfte der Großbauern in Wilmersdorf…”.

Wilmersdorf war kurz mal Stadt

Am 1. April 1906 erhielt die Gemeinde Stadtrecht und den offiziellen Namen Deutsch-Wilmersdorf. Mit dem 1. April 1907 schied Deutsch-Wilmersdorf aus dem Kreis Teltow aus und wurde ein selbstständiger Stadtkreis. Der erste und einzige Bürgermeister und nach 1909 auch Oberbürgermeister war Ernst Habermann (1866–1958), der seit 1897 bereits das Amt des Gemeindevorstehers innegehabt hatte und später der Namensgeber des Habermannplatzes wurde.

Der Habermannplatz ist ein unbebautes Grundstück (Gasteiner Straße 15) an der Nordostecke der Kreuzung Sigmaringer und Gasteiner Straße. Die Fläche des Platzes diente vor Jahrhunderten im Dorf Wilmersdorf noch als Begräbnisstätte, womit wir endlich bei unserer Zunft, den Bestattern, angekommen sind. Der Platz wurde um 1890 eingeebnet und deshalb von den Berlinern umgangssprachlich als Knochenpark bezeichnet.

Ab 1912 führte die Stadt die Bezeichnung Berlin-Wilmersdorf. Zum 1. Oktober 1920 wurde die Großstadt als Wilmersdorf nach Groß-Berlin eingemeindet. Sie hatte damals bereits 139.468 Einwohner und war längst kein Dorf mehr.